Stephan Siegrist
Profi Alpinist
Kashmir-Expedition: Erstbesteigung des Corner Peak
Auch wenn ich mir die aktuelle Expedition anders vorgestellt hatte und die gelungene Erstbesteigung des Corner Peak fast etwas nebensächlich wurde: höchst abenteuerlich war die Reise. Beinahe ein wenig zu abenteuerlich!
´In diesem Jahr war alles etwas anders, nicht nur die politische Lage, auch unsere Expedition verlief harzig. Zuerst wurden wir Bergsteiger vom Wetter zurückgehalten, der Monsun brachte viel länger als üblich Niederschläge und warme Temperaturen bis in hohe Lagen. Als wir uns am ersten niederschlagsfreien Tag zur Akklimatisation auf den Corner Peak (5700 Meter über Meer) aufmachten, verunfallte ganz in der Nähe unser indischer Kollege Ranjit Jakkli.
Beim Aufstieg zum Hochlager stürzte Ranjit und renkte sich den Ellbogen aus. Julian und ich waren zur gleichen Zeit bereits in der Gipfelregion unterwegs und erfuhren erst beim Abstieg ins Basislager vom Unfall. Da wir mehrere Stunden von der nächsten Siedlung entfernt waren, verarzteten wir unseren Kollegen notdürftig und schickten den Koch talabwärts, um Hilfe zu holen. Im nächsten Dorf wurde wieder ein Bote entsendet, der in der grösseren Ortschaft Gulabgarh einen Rettungshelikopter organisieren sollte. Bis der Helikopter eintraf, verging ein weiterer Tag. Wir hatten zusammen mit dem verletzten Inder bereits den Abstieg in Angriff genommen.
Auf dem Landeplatz in Gulabgarh warteten allerdings nicht ein Arzt, sondern Vertreter von Militär und Polizei. In der Region wurden Signale von einem Satellitentelefon abgefangen, man verdächtigte uns Bergsteiger, ein Telefon benutzt zu haben. Wir konnten mit gutem Gewissen verneinen, die Ursache für den Alarm zu sein, und da auch die Gepäckdurchsuchung kein belastendes Gerät zu Tage gefördert hatte, wurden wir nach zwei Stunden laufen gelassen. Am nächsten Tagen wurden Ranjit, Julian und ich in Kishtwar festgehalten. Offenbar war unterdessen ein schon früher in der Gegend tätiger und – wie ihnen versichert wurde – äusserst erfolgreicher Geheimdienstler eingetroffen. Für den Agenten der indischen Variante der CIA waren wir Ausländer offenbar ein wenig zu schnell weitergereist und hatten sich damit verdächtig gemacht.
Im Verhör wurde schnell klar, dass der indische Nachrichtendienst keinen Spass verstand in Bezug auf illegale Kommunikationsmittel und der Agent hätte wohl zu gerne bei seinen Vorgesetzten gepunktet mit der Überführung der Übeltäter. Da das aufgefangene Satelliten-Signal aber nicht von uns Expeditions- Bergsteiger gekommen war und weil uns nichts angehängt werden konnte, durfte wir drei nach erneutem Verhör die Polizeistation wieder verlassen. Zuvor wurden von Julian und mir noch die «Verbrecher-Fotos» gemacht, die später in den Medien auftauchten. Ob die Veröffentlichung der Falschmeldung bewusst oder aus Versehen passierte, ist nicht klar.
Für Julian und mich stand immer fest, dass sie den verletzten Ranjit begleiten würden, bis er sich in ärztlicher Obhut befand. Auch wenn das für uns bedeutete, dass sie unsere Expedition damit vorzeitig abbrechen und auf weitere mögliche Gipfelbesteigungen verzichten mussten.
Erst in Delhi, ein paar Tage später, erfuhren wir von der plötzlichen Aufmerksamkeit der Presse und der Falschmeldung in «Kaschmir Life». Auch wenn ich mir die aktuelle Expedition anders vorgestellt hatte und die gelungene Erstbesteigung des Corner Peak fast etwas nebensächlich wurde: höchst abenteuerlich war die Reise. Beinahe ein wenig zu abenteuerlich!