Stephan Siegrist

Profi Alpinist

Kirti Nose: Erstbegehung im indischen Bundesstaat Uttarakhand

Der Monsun hielt dieses Jahr ungewöhnlich lange an und überraschte uns mit grossen Neuschneemengen.

Anfang September reisten wir in Region Garhwa in Indien. Endlich angekommen wurde aber schnell klar, dass Bergsteigen und Klettern wohl etwas anders ausfallen würden als geplant. Der Monsun hielt dieses Jahr ungewöhnlich lange an und überraschte uns mit grossen Neuschneemengen. Angesichts der drohenden Lawinengefahr mussten wir nach vier Wochen des Abwartens akzeptieren, dass unser Hauptziel wohl unerreicht bleiben wird.

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Stephan Siegrist

Doch es öffnete sich ein viertätigesWetterfenster mit ausnahmsweise nur wenigen Zentimetern Neuschnee. Eine Gelegenheit für ein Alternativprojekt, welche wir uns nicht entgehen lassen wollten: Während der Wartezeit im Basislager hat eine Felswand immer wieder unsere Blicke auf sich gezogen. 400 Meter hoch und mit verblüffender Ähnlichkeit zur Nose am El Captain erklärten wir die Felsnase offiziell zu unserem Projekt. Verhältnismässig gut erreichbar, südexponiert und dementsprechend schnell trocken – das ideale Ziel für das kurze Schönwetterfenster. Wir knüpften uns also den 4950 Meter hohen Gipfel am Rande des Kirti-Gletschers vor, den wir «Kirti-Nose» tauften. 

Auf den ersten 150 Metern bewegten wir uns in perfekter Felsqualität. Traumhafte Risskletterei während den ersten fünf Seillängen. Während den nächsten vier Seillängen trafen wir auf teils lose Schuppen im Fels. Wer sich aber vor uns an dem Pfeiler versuchte, konnten wir nicht ausfindig machen. Nach dem alten Das machte diese Passage deutlich anspruchsvoller. Bis Mitte der 6. Seillänge begegneten wir Spuren eines Erstbegehungsversuches. Das Alter des Materials lässt vermuten, dass der Erstbegehungsversuch in den 90er oder zu Beginn der 2000er Jahre stattgefunden hat. Abseilstand war dann auch kein weiteres Material mehr zu finden. Wir kletterten an den Spuren der Vergangenheit vorbei und wurden dafür belohnt. Auf den letzten 120 Metern genossen wir teilweise steile Wandkletterei mit Felsqualität vom Feinsten. Wir erreichten den Gipfel kurz vor dem Eindunkeln. Nach 10 Seillängen im Schwierigkeitsgrad 7b / A3 und 350 Klettermeter standen wir nach vier Tagen auf dem höchsten Punkt des imposanten Felspfeilers. Glücklich lagen wir uns in den Armen. Dankbar dafür, dass wir trotz zermürbenden Spätmonsunwetter diesen Erfolg feiern durften.