Stephan Siegrist

Profi Alpinist

La vida es silbar: Eiger Nordwand

...ein Pfeifen ist  das Leben nicht immer, wissen wir ja alle!

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Inspiriert durch den kolumbianischen Film: La vida es silbar - Das Leben ist ein Pfeifen, hat Daniel Anker unserer, nicht ganz üblichen Tour in der Eigernordwand, diesen Namen gegeben. Kurios, abgefahren, unwirklich, magisch. Wer den Film gesehen hat, weiß was ich meine.

Das soll meine letzte große Tour werden, sofern es was wird.
Daniel Anker

Ich höre Danis Worte noch genau, als wir uns an unserem ersten Tag in Richtung Nordwand begeben und sie haben mich wehmütig gestimmt. Der unscheinbare Tiefstapler, einer der großartigsten Routenerschliesser, nicht nur im Alpinen Gelände, will seine Fähigkeiten nicht mehr nutzen. Heute verstehe ich ihn besser, damals zerriß es mit beinahe das Herz.

Wir sind am Fuße der Roten Fluh angekommen. Und wir könnten schreien vor Freude, Freude genialen Fels vorzufinden, Freude eine kletterbare Linie durch die steile Rote Fluh sehen zu können und Freude, gleich einfach da oben in der großen Wand zu sein. Und so steigen wir am folgenden Wochenende bei der nicht ganz offiziellen Haltestelle der Jungfraujochbahn, im Stollenloch 3.08. aus, um 10 Meter zu gehen.... und schon die Kletterei starten zu dürfen: der kürzeste Anstieg einer Alpinen Sportkletterroute im Alpenraum, wenn nicht sogar Weltweit!

Nach den Artif-Routen der Japaner von 1962 und der Tschechen (1972), die sich beide an der Seite der Roten Fluh (die eine am Ost-, die andere am Westende) befinden, war es ruhig in unserem Teil der Eigernordwand. Der Rote Fels in der gleichnamigen Fluh hat seinen Grund---- das Wasser erreicht den steilen Kalk nicht, um ihn grau zu färben.

 

Diese Ruhe, dieses Tabu haben wir nun also gebrochen. Wir sichten einen Schlitz im oberen Wandteil der Roten Fluh und hoffen dort irgendwie die Nacht verbringen zu können. Es kommt anders. Das "Hotel Rote Fluh", wie wir es später nennen, bietet keine Liegemöglichkeit. Also müssen wir erst ein Portaledge organisieren. Ein paar Wochen später sind wir wieder zurück in unserem 4-Sterne-Hotel. Der Auslauf ist zwar nicht weit, doch dafür die Aussicht umso besser. Thomas Ulrich ist diesmal  mit von der Partie. Er hält die Eindrücke durch seine Kamera mit der Linse fest.Sein Darm hinterläßt noch einen anderen Eindruck: da er beim Einstieg nicht sch.... kann, weiht er das Plumsklo im Hotel ein. Eindrücklich, wie sich herrausstellt: 200m tiefer platscht die Notdurft auf unseren Abseilstand.

Kurz vor dem frühen Wintereinbruch im August gelingt uns das Erschliessen der gesamten Roten Fluh. Nun ist für dieses Jahr  Baustopp angesagt. In der folgenden Sommersaison richten wir, wieder im August, die letzte der 27 Seillängen ein. Ein zweites Biwak, Platz für 4 Personen, am Fuße des Tschechenpfeilers bietet den optimalen Ausgangsort für die letzten elf Seillängen. Dani und ich sind geradezu euphorisch über das unkonventionelle Gelingen dieser Neutour am Eiger. Ein leichtes Pfeifen liegt auf unseren Lippen.

Nun gilt es noch "La vida es silbar" rotpunkt zu durchsteigen. Daniel bleibt seinem Vorsatz treu, sich an neuem zu orientieren und fordert mich auf, für diesen Begehungsstil einen anderen Partner zu suchen. Mit Ueli Steck, einem guten Freund und Seilpartner fand ich den richtigen Partner für das Unternehmen. Kurz nach einer nicht erfolgreichen Expedition im Himalaya gelingt uns am 14.7.2002 in zwei Tagen die erste Rotpunktbegehung der 27 Seillängen. Wir bewerten die schwersten Seillängen mit 7c.  Zum Glück pfeifen in diesem Wandteil die Lebensfreuden und nicht die Steine.