Stephan Siegrist

Profi Alpinist

Eiger Paciencia: Erstbegehung und erste freie Begehung

Die freie Begehung der schwierigsten Sportkletterroute der Eiger Nordwand.

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Immer wieder sind Ueli und Stephan zurück zu ihrer Route gegangen, die sie bereits im Sommer 2003 fertig eingebohrt hatten. Im Jahr 2001 setzten Raul Bayard und Stephan Siegrist die ersten Bohrhaken.

Stephan fiel beim Einbohren von La vida es Silbar (Anker/ Siegrist 2000) diese noch logische, eigenständige und mögliche Linie auf. Das Sauwetter Diesen Sommer nun haben sich Ueli und Stephan für das Projekt die Zeit reserviert.

Doch dass der Bergsommer dieses Jahr ziemlich bescheiden war, muss man ja nicht noch speziell erwähnen. So konnten Sie gerade einmal einen und zweimal zwei Tage in die Wand, um sich ein paar der Seillängen anzuschauen. Zwischen den einzelnen Gewittern und den erneuten Sturmfronten konnten sie doch einige dieser 23 Seillängen bereits einmal klettern.

Für einen kompletten Durchstieg rechneten sie mit zwei Tagen. Lange sah es schlecht aus, denn der Sommer 2008 am Eiger zeigte sich alles andere als geeignet zum Klettern - denn bei der Route "Paciencia" handelt es sich um reine Felskletterei. Das instabile Wetter und der frühe Schnee bereits Mitte August machten ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Es wollte einfach nicht 48 Std. hinter einander stabil trockenes Wetter sein. Geduld und Hartnäckigkeit Ihre Geduld (Paciencia) und Hartnäckigkeit haben sich am Ende aber ausgezahlt.

Obwohl in den letzten Seillängen noch frischer Schnee lag, blieb die Wand am Freitag den 29.08, dank einer Bisenlage trocken. Sie stiegen um neun in die erste Seillänge ein und genau 12 Std. später lagen 16 Seillängen hinter ihnen. Nach einer recht angenehmen Nacht folgten am nächsten Tag die noch fehlenden sieben Seillängen. Zwischen und teilweise auf den Schneeflecken konnten sie auch diese noch hinter sich bringen.

Um 13.00 Uhr waren sie auf dem Tschechenpfeiler. Nun folgte der Abstieg- ein "Rennen" über die Westflanke zum Zug im Eigergletscher. Dieser brachte Stephan noch rechtzeitig zu einem Highline Engagement in Thun und Ueli in seinen wohlverdienten Sportkletterurlaub. Der Durchstieg erfolgte in abwechselnder Führung der beiden, wobei Ueli die meisten der schweren Seillängen im Vorstieg kletterte und auch im Nachstieg alle frei kletterte.

  1. Berg: Eigernordwand

  2. Name der Route: „Paciencia“ (Geduld)

  3. Länge: 23 Seillängen / 900 Meter

  4. Schwierigkeitsgrad: 8a oder 10- (UIAA)

  5. Schwierigkeit der Seillängen: 6b/6a/6a+/7b/7c+/7a/8a/7a+/6c+/6b/6a Tschechen-Biwak 7c+/7b+/7b/7a/6a+/7a/7b+/7a/6c+/6b/6b/6b

  6. Erstbegehung: Stephan Siegrist / Ueli Steck Sommer 2003

  7. Erste freie Begehung: Ueli Steck und Stephan Siegrist am 29. u. 30. August 2008

Geschichte über die Erstbegehung

Seit drei Wochen wohnen wir schon am Eiger. Es ist der heisse Sommer 2003, Tag für Tag strahlt die Sonne vom Himmel und wir verrichten unsere Schwerarbeit in der Senkrechten sogar auf dieser Höhe im T-Shirt. Vor ein paar Jahren ist mir die schöne Linie durch die Rote Fluh aufgefallen, jene steile, rot-orange schimmernde gigantische Felsplatte in der Eigernordwand. Ueli Steck und ich haben viele Routen am Eiger geklettert, kennen alle möglichen Winkel und Ecken der Wand, verbrachten unzählige Tage damit, uns über schwierige Stellen zu kämpfen, durch Kamine zu zwängen, zu verzweifeln, Geduld zu üben, ans Limit zu gehen und über uns selber hinauszuwachsen. Der Eiger hält alle Emotionen bereit, oft auf extremen Skalen. Hier gibt es keine durchschnittlichen Schwingungen, denke ich manchmal, die Eigernordwand ist alles oder nichts – egal ob im Positiven oder Negativen. Die Faszination nimmt nicht ab, deshalb wollen Ueli und ich eine neue Route eröffnen, wenig neben der schwierigen Sportkletter-Route La vida es silbar von Daniel Anker und mir.

Meter um Meter suchen wir uns täglich den Weg über die überhängenden Felspassagen, machen uns mit den Kanten, Leisten und Trittchen vertraut. Nur wenn wir den Fels gut lesen, gelingt es uns, einen Weg nach oben zu eröffnen. Mit zerschlagenen Fingern, müden Armen und überhitzem Kopf kehren wir abends jeweils zurück in unser Zuhause in der Wand. Unterhalb der Roten Fluh haben wir auf Bändern ein Biwak eingerichtet. An einigen Stellen konnten wir die Absätze sogar ein bisschen ausbauen, wir schaufelten uns eine richtige Plattform. Da wir wussten, dass wir länger in der Wand bleiben, haben wir uns gut eingerichtet, legten uns gute Essensvorräte an und schlafen auf dicken Luftmatten. Über die rund 150 Meter Fixseile, die wir zwischen dem Stollenloch der Jungfraubahn und unserem Biwak verlegt haben, sind an einem Abend sogar unsere Freundinnen mit den Steigklemmen hochgestiegen. Es fehlt uns an nichts. Und doch dachten wir, an einem schönen Sommerabend gehört es im Schweizer Land einfach dazu, dass man grillt. Als wir vor ein paar Tagen ins Tal abstiegen, um die Vorräte aufzustocken, entschieden wir, gleich noch einen Sack Holz ins Biwak mitzunehmen. Wie fleissige Nagetierchen schleppten wir unsere Einkäufe durch die gute besetzten Wagen der Jungfraubahn, die uns netterweise beim Stollenloch aussteigen liess, krochen dann durch die Tür hinaus in die Wand – eine Besonderheit, die vom Tunnelbau her stammt – bevor wir uns an den Seilen einhängten und in unser Nest hinauf stiegen. Die schweren Einkaufstaschen mitsamt Brennholz zerrten wir in robusten Haulbags hinter uns her.

Am Abend des 1. Augusts haben wir bereits einen grossen Teil der insgesamt 27 Seillängen über die Rote Fluh und den Tschechenpfeiler hinauf eingerichtet. Frei klettern konnten wir längst nicht alle Passagen, einige Stellen bewegen sich im Schwierigkeitsbereich von 8a. Die erste freie Begehung sollte uns erst gute fünf Jahre später gelingen. Trotzdem, finden wir, haben wir uns ein Bier und eine knusprig gebratene Wurst verdient. Ueli stapelt die Holzstücke liebevoll aufeinander und bald schon sitzen wir neben dem knisternden Feuer in unserem Adlerhorst, schauen hinab auf die Häuser von Grindelwald und die lieblichen Alpweiden, bewundern das Spiel der Wolken und Schatten über den sanft geschwungenen Hügelketten der Voralpen und des Juras, die sich im Dunst des Abendlichts verlieren.

Wir sind alleine in der immensen Wand, die einzigen Beobachter dieses fantastischen Spektakels. «Wie wärs mit einem kleinen Feuerwerk?» frage ich Ueli, der natürlich sofort Feuer und Flamme ist. Wir zünden die Raketen und freuen uns über den Lärm, der ganz bestimmt keine Nachbarn verärgert. Weil ich die Flugbahn falsch berechnet habe, fliegt eine Rakete direkt in meine mit Luft gefüllte Matte – harte Nächte stehen mir bevor! Was wir bei der Aktion nicht bedacht hatten, sind die aufmerksamen Talbewohner. Früh am anderen Morgen, wir liegen noch gut eingepackt in unseren Schlafsäcken, sehen wir einen Hubschrauber gerade auf uns zufliegen. Es ist ein Rettungshelikopter der Rega, der anscheinend von besorgten Personen aufgeboten worden ist, die dachten, jemand sende ein Notzeichen aus der Wand. Etwas beschämt geben wir der Crew mit Handzeichen zu verstehen, dass sie sich über uns keine Sorgen machen müssen. Wenig später sehe ich auf meinem Handy eine Nachricht des Rettungschefs von Grindelwald. Ich entschuldige mich in aller Form und verspreche, ihn für die nächste Grillparty in der Wand einzuladen oder zumindest rechtzeitig zu benachrichtigen.