Stephan Siegrist

Profi Alpinist

Queen-Maudland, Antarktis:

Es war einer der schönsten Momente in meiner Bergsteigerkarriere als wir endlich den Fuß auf Queen-Maudland setzten.

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Schon kurz nach der Landung fühlten wir uns bereits überglücklich und privilegiert auf norwegischem Territorium, Queen Maudland, in der Antarktis zu stehen. Die Landschaft wirkte auf uns einfach nur unwirklich schön. Ein überraschend unbeständiges Wetter mit Temperaturen von -30° bis -50° bestimmte unser Unternehmen. Immer wieder Stürme, aber auch Temperaturen um -5° und keine Sonnenuntergänge. Extreme Bedingungen an die wir uns erst einmal gewöhnen mussten.

Aber eine 750 Meter hohe, vertikale Granitwand zu bezwingen, wenn möglich sogar in freier Kletterei, ist ein Szenario, das uns extrem motivierte. So wollten wir all unsere zur Verfügung stehende Energie und Leidenschaft in das Projekt stecken. Wie nirgends sonst in der Antarktis ragen im Queen Maud Land einzigartige Türme, Pfeiler und Zähne aus dem Eismeer. Diese Nunataks sind nur die Spitze eines Gebirges, dessen höchste Gipfel das kilometerdicke Inlandeis durchstoßen und so spektakuläre Granitberge ausbilden. Diese stehen wie Raketen in der scheinbar endlosen und weißen Gletscherwüste. Der imposanteste Berg im Queen Maud Land ist ohne jeden Zweifel der 2931 Meter hohe Ulvetanna. Eine perfekte Pyramide, die sich nach allen Seiten hin als ein abweisendes, anspruchsvolles Ziel präsentiert. Nicht umsonst gilt der Ulvetanna als der schwierigste Berg der Antarktis.

Im Jahr 1994 sah ich den Berg Holtanna zum ersten Mal auf einem Foto und war so unglaublich fasziniert, dass der Gedanke daran mich nie mehr losliess. Es sollte aber noch 14 Jahre dauern bis mein Traum Wirklichkeit wurde. Doch trotz dieser extremen Bedingungen wurde unsere Erstbegehung durch die Westwand zu einem Juwel in unserer Bergsteigerkarriere. Eiszeit – 24 Seillängen und Schwierigkeiten bis 7+ und technisch bis A4.Die erste freie Besteigung des Holtanna gelang uns eine Woche später über den Nordpfeiler. Wenngleich die Schwierigkeiten sich in einem moderaten Rahmen hielten, die Route Skywalk 7 ist an Schönheit nicht zu übertreffen. Ein Eiger Mittellegigrat in der Antarktis. Anfang Dezember wurde das Wetter leider erst einmal schlechter. Wir mussten uns in Geduld üben und warteten beharrlich auf gutes Wetter. Denn wir hatten noch ein weiteres großes Ziel im Visier – den Ulvetanna.

Äußerlich betrachtet haben wir vielleicht unser Ziel, eine schwierige Freikletterei in der Antarktis zu realisieren, nicht hundertprozentig erreicht. Aber bei einer Lufttemperatur von -20° wird ein Siebener zum Neuner und ein Neuner wird unmöglich. Ganz davon abgesehen, dass es die meiste Zeit sogar noch kälter war! Somit haben wir alles versucht und konnten mehr besteigen als geplant. Unser Traum wurde Wirklichkeit und wir können von uns behaupten einfach nur überglücklich zu sein!

Zur selben Zeit war eine sechsköpfige französische Expedition an den Felstürmen Queen Maud Lands mit uns unterwegs. Thomas Faucheur, Leiter der Groupe Militaire de Haute Montagne mit seinen Kameraden Lionel, Francois, Didier, Dimitri und Sebastian. Sie kletterten eine schwierige Route am Nordpfeiler des Holstind. Ihre Erstbegehung: Choundens Renard (650 Meter, A2/A3).