Stephan Siegrist

Profi Alpinist

Torre Egger: Erste Wintersbesteigung des Torre Eggers, in Patagonien

Wir werden erst einmal ein paar Tage brauchen um unser Glück zu fassen!

Wir, Thomas Senf, Mario Walder, Daniel Arnold und ich (Stephan Siegrist), erreichten am Abend dem 27.07.2010 El Chalten- der Ausgangsort für die verscheidenden Basecamps in der Fitz-Roy und Cerro Torre Gruppe in Patagonien am Südlichen Ende von Argentinien. Als wir am nächsten Tag erfuhren, dass sich in den kommenden Tagen ein stabiles Hochdruckgebiet einstellen sollte, organisierten wir noch eiligst das restliches Material und packten unsere Ausrüstung für die Besteigung.

Mit schweren Rucksäcken und starkem Schneefall marschierten wir ausgerüstet mit Skiern bereits am nächsten Tag in das vorgesehene Basislager „Bridwell-Camp“. Mario klagte über schmerzen in seinem Knie- am Abend erreichten wir, Mario humpelnd wieder Chalten. Marios Knie war so schlecht beieinander, dass wir am nächsten Tag zu dritt das Restliche Material in das Camp buckelten. (ein langjähriger Freund von El Chalten, Luis Soto half uns mit einem weiteren Rucksack, beladen mit einem Zelt und einem Kocher bis ins „Campo Bridwell“). Mario überlies uns grosszügigerweise die Möglichkeit zu dritt einen Versuch einer ersten Winterbegehung zu wagen. Noch am gleichen Tag transportierten Dani, Thomas und ich- teilweise mit beladenen Schlitten die wir hinter uns her zogen das für eine Winterbesteigung nötige Material in Richtung der Basis der Ostwand des Torre Eggers. Dann am Abend ging der Marsch wieder zurück ins „Campo- Bridwell“. Der viele Schnee, die Kälte bis zu minus 25 Grad und das wenige Tageslicht (9.30 wird es Hell und am 18.30 wir es wieder dunkel) machten die Transporte anstrengend. Noch war es nicht fertig. Am nächsten Tag konnten wir einen Ersten“ Load“ an den Fusse des Berges bringen- durch teilweise hüfttiefen Neuschnee. Nun wieder 3 Stunden zurück wo wir eine sehr kalte Nacht am Fusse des El Mocho (Niponino-Camp) verbrachten.

Wieder zu frühen Morgenstunden war Tagwache. Bereits etwas angeschlagen von den anstrengenden, langen Tagen- nebst dem wir den Jet-lag von der Reise noch kaum überwunden hatten kämpften wir uns aus unseren kleinen Zelten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns noch nicht entschieden, ob wir einen Besteigungsversuch starten, oder die Tage zum deponieren von Material am Wandfuss nutzen sollten. Der Wetterbericht liess uns nur eine kleine Chance für einen Gipfelerfolg, wenn alles optimal laufen würde. Andererseits wusste ich von vergangenen Patagonienreisen, dass es unsere einzigste Chance auf ein Schönwetterfenster sein könnte. Wir setzten alles auf Karte. Keiner Sprach ein Wort, jeder wusste was zu erledigen war bevor wir Richtung Gipfel starten konnten. Bis auf einmal Dani meinte:“ Was ist das- Achtung!“ Der gerade noch Sternenklare Himmel war verschwunden und wir wurden von einer Staublawine überrascht. Nach drei Minuten war der Spuck vorbei. Das Resultat: „Eine kalte Dusche in den Morgenstunden und alles Material war mit einer dünnen Schneeschicht überzogen.“ Zumindest waren wir jetzt munter. In unseren Fussstapfen vom Tag zu vor erreichten wir mit dem restlichen Material am Schweizer Nationalfeiertag um zehn Uhr morgens den Einstieg unseres Projektes. Das Wetter war perfekt. Windstill und die tiefstehende Sonne schien von einem unwirklichen blauen Himmel. Genau so wie es uns Karl Gabel, Meteorologe aus Österreich und Wettergott der Bergsteiger prognostiziert hatte. Die Kletterei folgte einer Eislinie die sich bis auf einen Gletscherabbruch zwischen Cerro Standarth und Torre Egger zog. Ideal um ein Camp aufzubauen- so wie wir es geplant hatten. Während Dani, der Junge Eismeister aus der Schweiz noch zwei weitere Seillängen kletterte, wobei ich sicherte, begann Thomas bereits mit dem einrichten des Lagers. Um die Kälte und den Wind im Winter in der Nacht ertragen zu können, waren wir mit Schlafsäcken und Biwakzelten ausgerüstet. Schneeschmelzen- den Wasserhaushalt des Körpers wieder versuchen ins Reine zu bringen - kurz was Essen und schlafen. Der morgen startete wie üblich. Das Rauskriechen aus dem halbwegs warmen Schlafsack erfordert jedesmal grosse überwindung. Schliesslich hatten wir den Klimaschock von 35°C in der Schweiz auf -25°C noch nicht ganz überwunden. Unsere Route folgte zwei weiteren Längen der Dona-Giongo Route. Eine unvollendete Route in den Col de Sueno – zwischen Torre Egger und Punta Herron. Nun folgten zwei neue Längen bis wir auf die bestehende Route „Titanic“ von 1987 trafen. Wir wählten diese Kombination, da sie bei den bestehenden Winterverhältnissen am erfolgsversprechenden aussah.

Die Sonne die sich nun für ein paar wenige Stunden in der Wand zeigte erfreute unsere Herzen- und unsere Hände- denn nun folgte die Route einer Risslinie die erwartet im Winter mit Eis gefüllt war. Um Griffe zu finden oder Sicherungen zu legen musste ich immer wieder mit dem Hammer das Eis vom Fels entfernen. Unsere Klettereien waren teilweise recht anspruchsvoll- doch von erlesener Schönheit.

Als Thomas – nicht nur bekannter Bergfotograf, sondern auch starker Bergsteiger – später die Führung übernahm und einen zwei auf zwei Meter grossen „Schnee- Eis-kolk“ aus einem Winkel der Route entfernen wollte, folgte plötzlich nicht nur die ganze Schneemasse mit einem mal als ganzes der Schwerkraft, sondern auch Thomas wurde durch die Wucht der Schneemassen aus der Wand katapultiert. Dani und ich wurden 30 Meter weiter unten am Stand von dem Objekt bombardiert, doch ausser einer zerbrochenen Sonnenbrille hatten wir glücklicherweise nichts zu beklagen. Auch Thomas der eine sieben Meter Sturz an den Tag legte, ging es ausser einem kurzfristig aussetzendem Herz- bestens.

Der Himmel wurde allmählich von Zirren bedeckt. Wenn wir nur nicht in einen Sturm geraten. Den bereits im Sommer können Patagonische Stürme für Bergsteiger sehr gefährlich werden- geschweige den im Winter mit der Kälte.

Wir kamen zum Beginn einer langen Traverse- und schon bald wurde es wieder dunkel. Wind setzte ein und es wurde bitter kalt. Es war klar, dass wir hier nirgends ein gutes Biwak beziehen konnten und um die Nacht nicht in unseren Klettergurten hängend verbringen zu müssen und dabei völlig auszukühlen beschlossen wir durch die Nacht weiter zu klettern. Das hatte ausserdem den Vorteil Zeit zu gewinnen. Denn das Wetter in Patagonien wechselt bekannter weise geschwind. Da kann schlussendlich jede Stunde über einen Gipfelerfolg entscheiden.

Die normalerweise leichte Kletterei über eine lange Felsrampe erwies sich als extrem anspruchsvoll. Das sich durch den senkrechten Granitpanzer ziehende schmale Felsband war mit Pulverschnee und Eis überdeckt und machte die Kletterei im schalen Licht unserer Stirnlampen zu einem wackeligen Tanz. In später Nacht um 03.30 Uhr, nach 22 Stunden Kletterei erreichten wir den Beginn des „Pilzes“. Eine für eine Paar wenige Gipfel der Torre Gruppe Typisches Gebilde- weltweit aber ziemlich einzigartig. Man stelle sich einen Tiefkühler vor, den man nach Jahren wieder einmal entfrosten müsste. Multipliziert das Anraumeis mal Hunderten von Kubikmetern und formt damit ein Gebilde das ausschaut wie ein Pilz auf einem Felssockel. Dieses Gebilde bildet die letzte Bastion auf dem Weg zum Gipfel und ist von den Kletterern aus aller Welt als bergsteigerischer Alptraum gefürchtet. Da die Kletterei mehr einem ungesichertem hinaufwühlen im senkrechten Pulverschnee gleicht. Für diese letzten Seillängen brauchten wir Tageslicht, ausserdem waren wir mit unseren Kräften für diesen Tag am Ende. Also Gruben wir uns einen Sitz im steilen Schnee und verbrachten vier Stunden im Schlafsack, das Zelt über uns gestülpt um dem mittlerweile starken Wind entgegen zu wirken. Jeder von uns drei hing in den nächsten Stunden im Halbschlaf dunklen Gedanken nach, wie das nun wäre, hier knapp unter dem Gipfel in einen ausgewachsenen Patagonischen Sturm zu geraten. Langsam wurde es hell und der Wind hatte an Intensität noch immer nicht nachgelassen. Dafür war der Himmel mit Cirren bedeckt. Ein mögliches Zeichen für einen Wetterwechsel. So kurz unter dem Gipfel wollten wir aber nicht aufgeben und machten uns so schnell als mit unseren klammen Fingern möglich auf, Richtung Gipfel. Ich wusste von der Sommerbegehung vor drei Jahren über die „Titanic“ Route auf den Torre Egger, dass es einen Eis- Kanal auf der Südseite des Pizes gab. Bestand der immer noch, wäre das unsere Chance schnell und sicher auf den Gipfel zu kommen. Und zu unserem Glück existierte er noch.

Dani führte uns die letzten drei Seillängen auf den Gipfel. Am 03.08.2010 standen wir drei um die Mittagszeit auf dem Torre Egger. Nur eine gute Woche nach unserem Abflug aus der Schweiz. Wir werden erst einmal ein paar Tage brauchen um unser Glück zu fassen.

Ich verbrachte in den letzten 18 Jahren gegen 12 Monate beim Bergsteigen in dieser Region. Doch so schnelles und grosses Glück hatte ich in Patagonien noch nie! Auch das Glück mit einem solchen super Team unterwegs zu sein. Wie ergänzten uns von der Vorbereitung bis zu der Besteigung perfekt. Der einzige Wehrmutstropfen war, das Mario nicht dabei sein konnte. Nach sieben Stunde nochmals nervenbelastender Abseilerei, erreichten wir kurz vor dem einnachten den Einsteig. Nun steigen wir nochmals 3 Stunden ab in das Niponino Camp. Dort verbrachten wir eine weitere Nacht- um am nächsten Tag in sieben Stunden den Ort zu erreichen, von dem aus vor 6 Tagen unser Abenteuer begonnen hatten.

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